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Von Kletten, Neopren und Gedankenkraft

"Weshalb nur bleiben mir die schwierigen Erfahrungen oft viel länger im Gedächtnis haften als die guten? Und, vor allem, wie schaffe ich den Ausstieg aus diesem negativen Gedankenkarussell?" Das hast du dich sicher auch schon gefragt. Die Hirnforschung gibt Antworten, weshalb das so schwierig ist - und dass es einfache Mittel und Wege gibt, wieder in seine mentale Kraft zu kommen.



Vor kurzem hatte ich ein interessantes Erlebnis. An einem kalten, grauen Frühlingssamstag ging ich im Wald spazieren. Bei einer Grillstelle traf ich auf zwei Menschen, dir dort still vergnügt ein Feuer entfacht, auf einem Tisch Leckereien vorbereitet und unter einem Baum eine grosse Picknickdecke mit Springseilen und anderem Spielzeug ausgebreitet hatten. Ich musste lachen und teilte mit diesen beiden Menschen meine freudige Überraschung, dass sie so mutig und unverdrossen den Frühlingsanfang mit einem Picknick feiern, trotz des nasskalten Wetters. Es kämen noch einige Kinder dazu, meinten sie. Diese würden sich dann nach einem Waldnachmittag hier an den frisch gebackenen Waffeln freuen - ob ich auch eine möchte? Fröhlich funkelten ihre Augen, liebevoll gaben sie selbst gemachtes Apfelmus auf die tatsächlich im Feuer gebackene, noch warme Waffel und reichten sie mir mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Wir wechselten noch einige Worte, dann ging ich weiter, und sie gaben die nächste Portion Teig auf das Waffeleisen.


Die Waffel war herrlich. Aber nicht nur der süsse Geschmack in meinem Mund wärmte mir das Herz, sondern die ganze Szenerie beglückte mich und das Lächeln blieb noch lange in meinem Gesicht.


Zuhause angekommen öffnete ich aus irgendeinem Grund die Suchfunktion meines Handys und ich landete - ohne gross zu suchen - bei den aufgeregten Berichten aus dem aktuellen politischen Leben. Empörung, Angst, Erklärungsversuche, Spekulationen brandeten mir entgegen - und ich wurde mitgerissen. Am Abend lud sich noch eine Diskussion im Freundeskreis damit auf - und am Ende ging ich erschöpft, bedrückt, aufgewühlt zu Bett. Die hübsche Waffelgeschichte? Vergessen. Das heitere Wohlgefühl? Verebbt. Was blieb - bis zum Morgen, war die Bedrückung, die Angst.


Einmal mehr hatte ich erlebt, dass schöne, beeindruckende Ereignisse aus meinem realen Leben innert Kürze und vor allem sehr nachhaltig überschrieben wurden durch negative Schlagzeilen aus der "virtual reality" der weiten Welt.


Da kam mir das Buch "Das Gehirn eines Buddha" des Neurologen und Meditationslehrers Rick Hanson in den Sinn. Er schildert sehr eindrücklich, wie unser Gehirn aufgrund seiner Entstehungsgeschichte funktioniert:


" Die innere Stärke, die wir benötigen, um ausgeglichen und erfolgreich zu sein, hängt unmittelbar von unseren Gehirnstrukturen ab – aber damit unsere Vorfahren überleben konnten, hat unser Gehirn etwas entwickelt, das von Wissenschaftlern als negative Verzerrung bezeichnet wird. Für negative Erfahrungen gilt das Klett-Prinzip: sie bleiben haften, während für positive Erfahrungen das Teflon-Prinzip gilt. Um dieses Problem

zu lösen und unser Gehirn »fit zu machen«, müssen wir lernen, welche positiven Erfahrungen unseren drei Grundbedürfnissen nach Sicherheit, Zufriedenheit und Zugehörigkeit zugutekommen. Je mehr Wohlbefinden und inneren Frieden wir

aufbauen, desto weniger sind wir versucht, unterhaltsamen Erlebnissen nachzujagen oder mit unangenehmen zu kämpfen. Wir erlangen vielmehr eine Form des Wohlergehens, die aus sich selbst heraus existiert und nicht von äußeren Bedingun-

gen abhängt."


Offenbar müssen wir uns also wirklich darum bemühen, das Schöne und Gute festzuhalten - während das Schwierige automatisch kleben bleibt. Rick Hanson gibt uns auch gleich einen einfachen 4-Schritte-Plan, wie wir dies trainieren können.


1. Mache eine positive Erfahrung.

2. Reichere sie an.

3. Nimm sie in dich auf.

4. Verbinde sie dergestalt mit positivem und negativem Material, dass das Positive gestärkt wird und das Negative sogar ersetzen kann."


Eigentlich geht es hier um Achtsamkeit. Und um gezielte Initiative. Zuerst müssen wir uns nämlich überhaupt Möglichkeiten aussetzen, damit wir positive Erfahrungen machen können. Erfahrungen, die unseren Grundbedürfnissen nach Sicherheit, Zufriedenheit und Zugehörigkeit entsprechen. Dass mir im Wald diese beiden Menschen begegnet sind und mit einem warmen süssen Waffel-Geschenk und netten Worten gleich alle drei Grundbedürfnisse erfüllten, das war ein Geschenk. Grundvoraussetzung und mein eigener Beitrag dazu war, dass ich raus gegangen war und diese Menschen angesprochen hatte.


Dann aber übernahm mein Gehirn die Regie und innert kurzer Zeit wurde die positive Erfahrung überschrieben und fast (zum Glück nur fast!) getilgt durch die negativen Schlagzeilen und die anschliessende schwierige Diskussion im Freundeskreis.


Was hätte ich besser machen können? Ich folge Rick Hanson:

  • sie (die Positive Erfahrung) anreichern

  • sie in mich aufnehmen

  • sie dergestalt mit Positivem und Negativem anreichern, dass das Positive gestärkt wird (und das Negative sogar ersetzen kann).


Dass ich jetzt diesen Text schreibe, ist der Umsetzung des letzten Punkts geschuldet. Die Wucht der negativen Erlebnisse war so stark, dass sie sogar das sehr bewusste Erleben und in mich Aufnehmen des Schönen überschwemmten. Es braucht die aktive Auseinandersetzung mit dem Positiven, damit es mich innerlich stärkt und nährt. Die Geschichte erzählen gehört dazu. So, wie wir uns eben oft fast automatisch immer wieder die negativen Gedanken selbst und auch anderen erzählen, so können wir uns anhalten, bewusst die positiven Erlebnisse zu erzählen, sie aufzuschreiben, sie festzuhalten.

Es gibt Menschen, die deshalb "Dankbarkeitstagebuch" schreiben. Andere erzählen sich selbst am Abend bewusst die drei schönsten Erlebnisse des Tages. Und gerade, wenn wir feststellen, dass unser Gehirn wieder einmal klettenhaft das Problematische festhält, lohnt es sich, die positiven Geschichten anzureichern, auszuschmücken. Das ist kein Schönreden. Damit halten wir mit unserer Gedankenkraft und unserem Bewusstsein der Neoprenfunktion des Gehirns etwas entgegen und sorgen so für innere Stärke und Wohlbefinden.

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