Sommerzeit - Zeit der Reife
- karinfrey3
- 5. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Wenn die Getreidefelder abgeerntet sind, erstrahlt die Welt in ihren ganz eigenen Goldtönen. Mit der Wärme der Augustsonne schiesst die Süsse in die Früchte - die Zeit der Reife ist gekommen. Auch wir Menschen sind in die Zyklen der Natur eingebunden, können darin Freude, Sinn und Geborgenheit erfahren. Und so kann bewusst wahrgenommene Reifezeit im Lebensbogen eine Quelle der Dankbarkeit und Ausgangspunkt für weitere beglückende Erfahrungen werden.

Wenn der Hügelzug auf der anderen Seite des Sees in Goldfarben getaucht ist, ist August. Die Felder sind abgeerntet, das reife Korn wartet auf die Verarbeitung. Früher feierte man diesen ersten Getreideschnitt, dankte für die gute Ernte und würdigte die getane Arbeit und das Werden mit einem speziellen Brot, das man aus diesem Getreide backte und genoss.
Immer auch drängte sich der Vergleich mit den Menschenleben auf: auch hier erkennen wir Zeiten des Säens, Wachsens, des Reifens und der Ernte. Wenn wir uns bewusst damit verbinden, können wir den Wert und die Schönheit unserer Lebenswege erkennen. Oft bemerken wir aber erst im Rückblick die wunderbaren Qualitäten eines Lebensabschnitts. Gerade wenn uns der Alltag fordert finden wir kaum Zeit und Musse, einen Moment innezuhalten und wahrzunehmen, wo wir uns gerade befinden. So seufzte eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Rahmen einer Biografiearbeit: "Ich war so damit beschäftigt, den Alltag zu bewältigen, dass ich erst heute, Jahre später, erkenne, was ich alles nicht wahrgenommen und was ich alles nicht genossen habe. Das macht mich traurig."
Dieses Bedauern ist verständlich und nachvollziehbar. Zugleich ist es ein willkommener Aufruf, diesen Moment als Moment des Erwachens zu nutzen. Jeder Lebensabschnitt hat seine eigenen Herausforderungen und Freuden, und fast scheint es müssig, auf die Zeit zu warten, da einem Augenblicke der Besinnung und des Staunens geschenkt werden. Immer drängt etwas, immer rufen Pflichten oder Verlockungen. Und wenn einmal alles getan zu sein scheint - stellt sich nicht selten ein Gefühl der Leere ein, das man rasch wieder loswerden möchte.
Das Wissen um die Zyklen des Lebens und die Verbundenheit mit der Natur können unserem unruhigen Geist helfen, sich auf das Wesentliche auszurichten. Zum Beispiel auf das bewusste Wahrnehmen des Hier und Jetzt, darauf, zu sehen, zu hören, zu spüren und zu erkennen, was das Leben jetzt gerade an Tiefe und Reichtum bereithält.
So können wir nicht nur im Jahreslauf eine Reifezeit erleben, sondern auch im Rahmen unserer eigenen Biografie. Susanne Hofmeister assoziiert in ihrem "Lebenshaus" die Lebensjahre um die 50 mit der Reifezeit und lädt dazu ein, nicht nur das Bisherige zu würdigen, sondern auch mit Weitsicht Ausschau nach Neuem zu halten, das werden will. Gerade in der Zeit, in der sich die Lebenskräfte zurückzuziehen beginnen, ist es wertvoll, sich darauf zu besinnen, worauf man sie ausrichten will. Der Gärtner kennt den Sommerschnitt. Damit wird das Wachstum der Beeren und Obstbäume reguliert um die Fruchtqualität zu verbessern und Krankheiten vorzubeugen. Im übertragenen Sinn ist es sinnvoll, sich in dieser Lebenszeit der Reife zu fragen, wovon man sich verabschieden will, damit man Kraft hat für das, was einem wirklich wichtig ist.
Zum Glück hat diese Überlegung nicht nur Gültigkeit für die Lebensjahre um die 50. Jedes Jahr beglückt uns die Natur im Spätsommer mit der Zeit der Reife und erinnert uns daran innezuhalten, dankbar auf das Erreichte und Gewordene zu schauen, uns zu überlegen, was werden will und worauf wir unsere Kraft ausrichten wollen.
Wer bin ich jetzt?
Worauf kann ich mit Freude und Genugtuung blicken?
Wo soll es hingehen mit dem, was mir heute zur Verfügung steht?
Wo liegen die nächsten Schritte zur Selbstverwirklichung?
Welche Beziehungen, Freundschaften erfüllen mich mit Freude und nähren mich, welche haben sich "ausgelebt"?
Wo erfahre ich Lebendigkeit und Tiefe?
Nehmen wir jedes Jahr den August mit seiner schweren Wärme und den Ausblicken auf die goldenen Getreidefelder zum Anlass, unsere eigene Reifung zu feiern und dafür zu sorgen, dass wir immer tiefer verstehen, wohin uns unser Weg führen will. Um es mit Mark Twain zu sagen:
"Die zwei bedeutendsten Tage in deinem Leben sind der Tag, an dem du geboren wurdest, und der, an dem du herausfindest, warum."
Comments