In diesen Tagen erleben wir die längsten Nächte. Vielen von uns fehlt das Licht. Zwar blinken überall Lichterketten, aber das Sonnenlicht zu ersetzen vermögen sie nicht. Wie wollen wir unseren Umgang mit Licht und Dunkelheit gestalten, damit sie uns auf unserem Weg unterstützen?
Oft wird Dunkelheit wenig wertgeschätzt. Man verbindet sie mit Negativem, mit moralisch Verwerflichem, mit Traurigkeit und Verlust. Dabei, wir wissen es, entsteht alles Neue in der Dunkelheit: Samen keimen in der Dunkelheit der Erde, das Menschenkind wächst in der Dunkelheit des Mutterschosses, oft genug entstehen Ideen auch irgendwo im Dunkel unseres Unterbewussten. Und doch - sehnsüchtig erwarten wir das Licht, einfach, weil wir ohne das Sonnenlicht nicht überleben können.
In diesen Tagen der Wintersonnenwende wird nach altem Verständnis das Licht wiedergeboren. Endlich werden die Tage wieder länger - unmerklich zu Beginn, aber mit der Zeit immer deutlicher -, und wir sind dankbar, auftauchen zu können.
Diese Zeit der kurzen Tage lädt uns aber ein, die Dunkelheit zuerst einmal zu feiern, uns ihr hinzugeben, uns selbst Auszeiten zu schenken, so wie viele von uns es um die Zeit des Jahreswechsels tun. Im letzten Blog habe ich meine Erfahrungen mit den Sperrnächten geteilt, die der Zeit der Wintersonnenwende vorangehen. Hier ging es um das Abschliessen, das Loslassen, auch das Integrieren von Erfahrungen. Wir wenden uns nach innen, reflektieren, werten aus, schenken dem Neuen, das entstehen will Raum.
Dabei kann es passieren, dass man die Dunkelheit aber noch einmal als schwierig erlebt. Dass man tatsächlich erfährt, wie die eigene Seele und das eigene Wohlbefinden immer wieder belagert werden von Schreckensnachrichten, Berichten von Tragödien, Erzählungen über mögliche Bedrohungen. Die Sehnsucht nach Licht wird so quasi verdoppelt: zur Sehnsucht nach dem Tageslicht kommt diejenige nach dem Lichten im übertragenen Sinn.
Jede spirituelle Praxis kennt die Hinwendung zum eigenen inneren Licht. Diese kann - ohne der Dunkelheit ihren Wert abzusprechen-, sehr hilfreich sein, um gesund und heilsam zu bleiben.
Jeder Mensch verfügt in seinem Inneren über ein Licht, das unberührbar ist von allem äusseren Geschehen. Im Yogasutra finden wir beispielsweise diesen Gedanken:
"Der Geist klärt sich auch durch das Eintauchen in das Innere Licht, welches frei ist von Leid und Sorgen." Yogasutra I, 36
Was ist damit gemeint?
Wir finden in diesem Satz dreierlei Aussagen.
Das innere Licht sei frei von Leid und Sorgen. Es muss also zu finden sein jenseits der Bewegungen des Alltags, jenseits der Körperempfindungen, der Energieströme und der Gedanken und Gefühle, die uns Menschen umtreiben.
In dieses Licht könne man eintauchen. Der Yoga empfiehlt uns dafür die Meditation mit allem, was dazu gehört.
Und wir finden das Versprechen, dass sich dabei der Geist kläre. Diese Zielsetzung erachte ich als zentral. Es geht also nicht ums Vergessen, Verdrängen, Ausblenden der äusseren Geschehnisse und der eigenen Erfahrungen. Vielmehr geht es darum, den Geist zu klären, "klar zu sehen". Denn nur so, aus dieser Geisteshaltung heraus, können wir unterscheiden zwischen richtig und falsch, oberflächlich und tiefgreifend - letztlich zwischem Handeln, das zu Lösungen führt oder das die Probleme weiter antreibt.
Diese Hinwendung zum inneren Licht kann auf vielerlei Weisen geschehen. Das Stillwerden in der Meditation wurde bereits erwähnt. Hier lassen wir geschehen, dass sich die Bewegungen unserer Gedanken und Gefühle beruhigen, dass wir ihnen nicht weiter folgen. So können wir in Kontakt kommen mit unserer inneren Weisheit, die nichts zu tun hat mit Glauben und Angelesenem, sondern beruht auf bewusst Erfahrenem und Reflektiertem, Erlebtem und Verarbeitetem und auch zu einem guten Teil auf etwas, das wir nicht benennen können.
Einen sehr lohnenswerten Gedanken finden wir auch bei Jack Kornfield. Beim Betrachten von Fernsehnachrichten zu Katastrophen fiel ihm auf, dass eigentlich sehr wenig berichtet wird über all die vielen Helfer und Helferinnen, die bei solchen Ereignissen zur Stelle sind. Daraus folgt die Empfehlung: "Fokussiere nicht nur die Katastrophe. Folkussiere auch die Helfenden." So viel Gutes wird getan in jeder Minute des Tages. Oft genug ist es unspektakulär. Eine Mutter streicht ihrem Kind das Butterbrot. Ein Pfleger unterstützt einen hilfsbedürftigen Menschen beim Aufstehen. Eine Verkäuferin wischt eine Lache auf. Helferinnen kochen den Flutopfern Suppe...
Der Dalai Lama sagt:
" Freude ist eine Tätigkeit, in der wir uns üben sollten."
Das Hinwenden zum inneren Licht geschieht manchmal auch über das Hinwenden zum Licht im Aussen. Ist es nicht das Sonnenlicht, ist es vielleicht das Helle im menschlichen Tun.
So wünsche ich dir erholsames Eintauchen in die Dunkelheit dieser Tage zwischen den Jahren, dass du sie feiern kannst und die Ruhe finden, in der Neues zu keimen beginnt. Und ich wünsche dir, dass du dich immer wieder dem Licht zuwenden kannst, wenn du es brauchst. Dem Licht in deinem Inneren und dem Licht, das durch unzählige helfende, unterstützende, liebevolle menschliche Tätigkeiten in die Welt strahlt.
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