Dankbarkeit - wir alle wissen, dass wir sie pflegen sollen. Sie macht uns glücklich und gesund. Das sagen Medizin, Psychologie und Glücksforschung. Doch kann man für alles dankbar sein? Für das Schöne sicher. Doch für das Dunkle? Das Leid im Leben? In der Biografiearbeit lernen wir, auch das Schwierige dankbar anzunehmen.

"Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.", das kennen wir von Friedrich Nietzsche. Es geht hierbei um die Sinnfrage, über die ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe. Wenn wir uns aber Gedanken machen über Dankbarkeit auch Schwierigem gegenüber, spannen wir den Bogen weiter. Etwas als sinnvoll erachten, einem Ereignis Sinn verleihen, ist das eine. Doch dankbar sein für das Dunkle im Leben?
Dem persischen Dichter RUMI verdanken wir auch hierzu ein wunderschönes Gedicht.
Das menschliche Dasein ist ein Gasthaus.
Jeden Morgen ein neuer Gast.
Freude, Depression und Niedertracht-
auch ein kurzer Moment von Achtsamkeit
kommt als unverhoffter Besucher.
Begrüsse und bewirte sie alle.
Selbst wenn es eine Schar von Sorgen ist,
die gewaltsam Dein Haus
seiner Möbel entledigt,
selbst dann behandle jeden Gast ehrenvoll.
Vielleicht reinigt er Dich ja
für neue Wonnen.
Dem dunklen Gedanken, der Scham, der Bosheit-
begegne ihnen lächelnd an der Tür
und lade sie zu Dir ein.
Sei dankbar für jeden, der kommt,
denn alle sind zu Deiner Führung
geschickt worden aus einer anderen Welt.
Biografiearbeit sucht nach Ressourcen im Lebenslauf, danach, was wir gelernt haben und jetzt verwenden können für eine beglückende Gegenwart und inspirierende Zukunft. Bei diesem Blick auf die eigene Biografie werden uns unweigerlich Ereignisse und Phasen in Erinnerung kommen, die wir als schmerzhaft und ungerecht erlebten. Vielleicht sind es Menschen, die uns Leid zugefügt oder uns nicht genügend gewürdigt haben. Oder wir begegnen noch einmal Verlust, Scham, Verzweiflung.
Der biografische Blick darauf sucht nun nach den Learnings, dem, was uns dabei stark oder auch besonders aufmerksam gemacht hat. Vielleicht erkennen wir, dass gerade weil wir zu einem bestimmten Zeitpunkt viel erleiden mussten, es uns jetzt zusteht, das Leben zu geniessen. Oder wir stellen fest, dass uns eine Krankheit gelehrt hat, besonders gut für uns zu sorgen, und wir jetzt eine Expertise in Selbstfürsorge aufgebaut haben. Vielleicht stellt sich der ungerechte Chef als "Geburtshelfer" für eine berufliche Neuausrichtung heraus, die ohne das Leiden nicht angegangen worden wäre.
Es geht hier nicht um billige Schönfärberei. Das Leid soll gewürdigt werden als das, was es war: Leid und Schmerz. Vielleicht will noch einmal eine Idee verabschiedet werden. Vielleicht will der Mensch, der wir damals waren, noch einmal sinnblidlich in den Arm genommen werden. Dann aber geht es darum zu erkennen, was an "Führung" darin verborgen lag, so, wie RUMI es beschreibt.
Meistens braucht es dazu ein Gegenüber, das mithört, das dabei hilft, nach gewonnenen Ressourcen Ausschau zu halten.
Als Biografieberaterin bin ich quasi Schatzsucherin. Ich gebe meinem Gegenüber Raum für seine Geschichte, höre aufmerksam zu, schenke Empathie und denke mit. Mit den Methoden, die mir zur Verfügung stehen, unterstütze ich das Einordnen, allenfalls ein Reframing, also einen neuen Blick aus einer anderen Perspektive, und auch, die Einmaligkeit eines jeden Lebens anzuerkennen und wertzuschätzen.
Gemeinsam mit der Person, deren Biografie wir aufrollen, entdecke ich die Gäste, die das Lebenshaus betreten haben - die angenehmen und die ungebetenen. Und wir untersuchen, was sie hinterlassen haben. Meist sind es bisher unerkannte Schätze, die nun gehoben und bewundert werden dürfen.
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